Sonntag, 8. April 2012

Deutschsein - Eine Aufklärungsschrift von Zafer Şenocak

Wohltuende Ferienlektüre nach der MuezSarrazin-Diskussion über das sich abschaffende Deutschland, die 2010/11 die Medien dominierte.

(Zitat Sarrazin aus einem Interview in Lettre International 86, S. 199, vom September 2009, zur Erinnerung: „Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate. […] Integration ist eine Leistung dessen, der sich integriert. Jemanden, der nichts tut, muss ich auch nicht anerkennen. Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert. Das gilt für 70 Prozent der türkischen und 90 Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin.“)

Zafer traf ich zum ersten Mal in den 80er Jahren, als er im Münchner Literaturbüro (arbeitete) und las. Einige Jahre später zog er nach Berlin; hin und wieder hörteman von ihm bzw. las  ich etwas in der taz.
Im letzten Jahr veröffentlichte er in der edition Körber-Stiftung ein Buch:




















1970 kam er nach Deutschland. Er studierte in München Germanistik, Politik und Philosophie. Seit 1979 veröffentlichte er Gedichte, Essays und Erzählungen in deutscher Sprache, seit Mitte der 80er Jahre arbeitet er an literarischen Übersetzungen türkischer Autoren. Er lebt seit 1990 in Berlin, schreibt für verschiedene Zeitungen und Radiosender zum Themenbereich Orient-Okzident und zur türkischen Kultur und Literatur. Außerdem ist er Mitherausgeber der Literaturzeitschrift Sirene.

Er schreibt über das Zusammenleben von Deutschen und zugezogenen Mitbürgern. Die deutsche Sprache sieht er als wichtige, in der Integrationsdebatte vernachlässigte Größe:
 „Sprache fließt, berührt und erzeugt Lust. Nichts ist von dieser Lust spürbar, wenn in Deutschland über Integration und Sprachdefizite gesprochen wird. Es herrscht die kühle Atmosphäre eines Labors. Man spricht über Einwanderung oft so, als ginge es dabei um chemische Formeln. Wo bleiben die Wörter, die schmecken, berühren und berauschen?“
 Die Vorstellung, in Deutschland gebe es eine homogene Nation, funktioniert nicht, sagt er - und das nicht erst, seitdem die so genannten Gastarbeiter in die Bundesrepublik gekommen sind. Statt andere auszugrenzen - durch den pauschalen Rückgriff auf Religion und Abstammung - plädiert er dafür, einen rationaleren Weg der Auseinandersetzung zu suchen.
Statt Angst vor Überfremdung und Kulturverlust wünscht sich Zafer Şenocak mehr Vernunft in der Debatte. Eine Vernunft, die sich auf die Gedanken der Aufklärung und die allgemeinen Menschenrechte bezieht. Nur dadurch sei das Zusammenleben in einer offenen und pluralistischen Gesellschaft letztendlich möglich.

aus Atlas des tropischen Deutschland. Essays. Berlin: Babel Verlag, 1992 :
Dialog über die dritte Sprache
Deutsche Türken und ihre Zukunft
"Kannst du jetzt verstehen, warum ich gerne dort lebe? Deutschland ist ein Land, das man vor Sehnsucht hasst. Eine Sehnsucht, die man unbedingt tilgen muss. Ein Land, in dem sich jede Art von Fröhlichkeit in Trauer verwandelt. Für jeden Zungenschlag und jeden Fußtritt gibt es Vereine und Verbände, und der Staat kassiert Geld für den Glauben an Gott. Du musst dir mal vorstellen, wie schwierig es für einen Deutschen sein muss: alle beneiden ihn wegen seines Erfolgs und seines Reichtums und wegen der Schönheit seines Landes, aber keiner liebt ihn. Er hasst die anderen für das, was sie an ihm bewundern. Er ist wie ein unglücklicher Verliebter, dessen Verzweiflung mal Unvorstellbares erschafft, mal unvorstellbar zerstört. Er ist einsam."

Link zur Bibliografie Zafer Şenocaks bei der Boschstiftung: http://www.bosch-stiftung.de/content/language1/html/14976.asp

1 Kommentar:

  1. Toent sehr interessant.

    lg und danke fuer den kommentar in meinem alten weblog (ehemals carinzil.wordpress.com)

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