Freitag, 14. Oktober 2022

Tag 935 mit Corona (Tag 231 des Krieges) und ein Nachruf

Vor 12 Jahren wechselte er zu H.s, nur drei Hausnummern des Sackgässchens weiter. Wenn H. am Morgen um halb 6 Uhr die Zeitungen aus dem Briefkasten holte, wischte hinter ihm ein Schatten aus dem Haus: Der Herr Kater. Man muss wissen, dass es zwei Katzenzugänge ins Haus gibt, einen davon nutzte er für sich und schlief dann nachts in den oberen Stockwerken.

Zu  dem Zeitpunkt gab es schon eine schielende Katze, Schieli genannt, eine Halbwilde aus dem Nymphenburger Schlosspark, die der Tierärztin entwischt war. Sie war so klein, dass sie durch die Gitterstäbe ihrer Aufbewahrung passte und sich ein paar hundert Meter zu den Nachbarkatzen durchschlug, von H. entdeckt und angefüttert wurde. Sie blieb und wurde groß und alt und war die Hauskatze.

Der Herr Kater schloss sich in allem Benehmen ihr an, auch wenn er sie ab und an anfiel, aber nicht verletzte. Katzengetöse eben. Fraß mit ihr, schlief mit ihr des nachts im Bett und lag mit ihr im Garten herum.

Und dann war er eines Tages der Einzige. Dachte, er sei allein H.s Kater, auch wenn er sich von Frau H. bedienen ließ. Klebte ihm am Fuß, sobald H. draußen war, schaute ihm auf den Kochbüchern sitzend morgens beim Sudoku zu. Lebte viele Jahre als gefürchteter Revierbesitzer um die Nachbarhäuser herum.

Wusste genau, was H. machte. Wenn er zum Bäcker fuhr, dann wartete er auf der Straße auf ihn. Fuhr H. länger und weiter weg - der Kater merkte es am Outfit - dann trollte er sich. War H. einen Tag weg, so war Herr Kater sehr empört, aber nicht nachtragend wie Schieli. Am bösesten war er nach einer Woche Venedig seiner Herrschaft, da blieb er nach deren Heimkunft schon mal ein paar Stunden weg.

Im Winter, wenn H. sein Sudoku in der Küche löste, saß er auf den Kochbüchern und betrieb Fernsehen: Er beobachtete die Gartenvögel und gab Kommentare von sich. Er war nie ein ausgesprochener Vogel- oder Mäusejäger. Von Frühling bis Herbst waren beide zusammen im Wintergarten oder auf der Hausbank. Beide erwarteten den Fuchs am Abend, er hauptsächlich, um das arme Wildtier zu ärgern, indem er den Zugang zum Futter blockierte.

Und heuer, im Alter von 17Jahren, fing er an, dement zu werden und lebte er nur noch auf der Straße, die keine Durchgangsstraße ist. Die Nachbarn sorgten sich. Bei Regen ging er unter eines der Vordächer. Zum Füttern bequemte er sich auf "sein" Grundstück. Im Nachhinein wurde klar, dass es seine beginnende schwere Krankheit war, die sein Verhalten derart veränderte.

Anfang September wurde er nachts ins Haus geholt, da er schwere Kämpfe mit einem üblen Artgenossen und Wunden an Kopf und Hals hatte. Auf dem Foto sind sie noch nicht vorhanden, nur ein paar Kratzer. Es war schon die Zeit der Demenz und des Rückzugs.

Er hatte sich im Haus ein Refugium gesucht, im obersten Stockwerk, und freute sich, wenn man kam. H. schlief seitdem oben. Der Herr Kater lag anfangs die ganze Nacht daneben im Bett. Dann verkroch er sich unter dem Einzelbett im Gästezimmer oder hinter Büchern im Regal. Das war ein Alarmzeichen.

Die Wunden an Hals und Kopf zeige ich nicht, sie besserten sich sehr langsam, für H.s Gefühl zu langsam. Am Hals wuchsen schon wieder ein paar neue Härchen, und die Backe wurde dank Antibiotikum auch besser und nicht eitrig. Aber vielleicht sollte er doch noch einmal der Tierärztin gezeigt werden.

Das fand dann am 13. Oktober statt. Röntgenaufnahmen und Ultraschall des Bauchraums zeigten Tumore an allen Organen.

Es war klar. Er schlief schnurrend ein. Tränen fielen.

4 Kommentare:

  1. Das tut mir sehr Leid. Aber manchmal ist es gnädiger, die Tiere gehen zu lassen, auch wenn es das für uns Menschen nicht leichter macht.

    AntwortenLöschen
  2. Thomas Kuban15/10/22 11:14

    Eine Träne hier auch. In den letzten 12 Jahren auch zwei Katzen begraben oder in die Urne verlegt. Ist nie einfach gewesen.

    AntwortenLöschen
  3. Wenn das nicht Liebe war…

    AntwortenLöschen
  4. Anne Rüsing16/10/22 10:08

    Ein katerförmiges Loch in der Welt. Ugh.

    AntwortenLöschen

Wenn Sie auf dem Blog kommentieren, werden die eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu finden Sie in der Datenschutzerklärung.