Dienstag, 16. Mai 2023

Drei Jahre und 50 Tage mit Corona, 1 Jahr und 79 Tage Krieg und: Iglu-Studie 2023

Die neueste IGLU-Studie sagt, dass ein Viertel der Viertklässler nicht ausreichend lesen kann, wenn sie die Grundschule verlassen. (Übrigens sagt das die Schulleiterfreundin schon seit Jahren. Im Rechnen sind die Ergebnisse auch nicht besser. Sie schrieb von vielen Fünftklässlern, die noch nicht im Zahlenraum bis 100 sicher rechnen können.)

Das ist fatal.

Lesen ist die Kernkompetenz beim Erwerb von Wissen, beim Zugang zu qualifizierten Berufen, auch zum persönlichen Glück, das wird oft vergessen.

(Im Bild Prof. Dr. Nele McElvany, die Leiterin der deutschen Studie ©IFS)

In der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung werden vier Verstehensprozesse unterschieden. Diese sollen Schüler der vierten Klasse anwenden können, wenn sie Erzähl- und Sachtexte lesen.

  1. Explizit angegebene Informationen erkennen und diese abrufen
  2. Einfache Schlussfolgerungen ziehen
  3. Komplexe Schlussfolgerungen ziehen
  4. Inhalt des Textes und seiner sprachlichen Gestaltung prüfen und bewerten

Bei den Punkten 3 und 4 müssen sie Informationen aus dem Text nutzen, außerdem wird externes Wissen herangezogen.

Deutschland liegt international im Mittelfeld. Zwischen 2016 und 2021 ist die Lesekompetenz drastisch gesunken. Die größten Verbesserungen in diesem Zeitraum zeigten Schüler:innen in Singapur, Hongkong und der Türkei. Der Anteil deutschen Schüler:innen, die nur ein rudimentäres Textverständnis erreichen (Stufe 1), hat sich verdoppelt.

Die sozialen und migrationsbedingten Unterschiede bei den Lesekompetenzen sind seit 2001 kaum verändert. Die Lesemotivation der Kinder in Deutschland ist im internationalen Vergleich relativ hoch, nimmt aber im 20-Jahre-Trend ab. Dabei haben Mädchen im Vergleich zu Jungen eine höhere Motivation.

Die Lesezeit im Unterricht ist bei den Viertklässlerinnen und Viertklässlern mit durchschnittlich 141 Minuten pro Woche vergleichsweise gering. In den OECD-Staaten insgesamt liegt der Mittelwert bei 205 Minuten.

Was tun?

H. hatte verschiedene Maßnahmen an seiner Schule eingeleitet, seit 2001:

  • Die Lesekompetenz der Eingangsklassen wurde mit Hilfe der Universität festgestellt.

  • Es gab das "Buch unter der Bank". Kinder, die mit einer Arbeit fertig waren, durften lesen.

  • Lesepat:innen kamen in die Schule, zur Unterrichtszeit und übten mit einer Gruppe oder einem Kind.

  • Klassensätze sog. "leichter Lektüre" wurden angeschafft. Nach jedem Kapitel mussten Fragen zum Text beantwortet werden.

  • Es gab die Schülerfirma "Die Vorleser", die gebucht werden konnte und in Kindergärten, Grundschulen, Altenheimen und Sportvereinen las.

  • Es gab die Teilnahme am Leseclub des Börsenvereins, mit dem die Bibliothek unermesslich ausgestattet wurde und die Lesepat:innen eine Aufwandsentschädigung bekamen.

    Die Bücherei wurde ausgebaut, kuschelig gestaltet und hatte feste Öffnungszeiten.

  • Im Unterricht wurde das Lesen von Sachtexten wie im Deutschunterricht üblich, behandelt: Unbekannte Wörter unterstreichen und klären, Inhalt zusammenfassen usw.

   Was schlägt die Uni vor?

  • Prioritätensetzung auf eine verbesserte Lesekompetenz und Erhöhung der wöchentlichen Unterrichtszeit für Leseaktivitäten
  • Qualitätsvoller Leseunterricht für alle sowie differenzierte Förderung in homogenen Kleingruppen für Kinder mit Unterstützungsbedarf
  • Individuelle Unterstützung für Kinder mit besonderem Förderbedarf
  • Systematische individuelle Diagnostik
  • Aus- und Weiterbildung der Grundschullehrkräfte im Bereich der Lese- und Sprachförderung
  • Frühe und systematisch Sprachförderung im Bildungssystem von der Kita an

Das kostet allerdings Geld. H. fällt der blöde Slogan der 60er und 70er Jahre ein: "In der Rüstung sind sie fix, für die Bildung tun sie nix".

Den Angebotsschulen Realschule und Gymnasium kann diese Misere eigentlich egal sein. Ausbaden und damit zurecht kommen müssen Förder- und Mittelschulen.

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Eine geschätzte Kollegin, mittlerweile schon lange im Ruhestand, sagte immer nur: "Armes Deutschland".

2 Kommentare:

  1. Diese Entwicklung kennen wir ja schon lange. Mittlerweile hat der niedrige Lesestandard allerdings schon sehr besorgniserregende Ausmaße angenommen. Das gefährdet den Wirtschaftsstandard Deutschland.
    Besonders betroffen sind Förder- und Mittelschulen. Quereinsteiger haben bestimmt noch nie etwas von den hier vorgeschlagenen Maßnahmen gehört, z.B. Buch unter der Bank. Häufig lesen sie Aufgabenstellungen vor und erklären sie auch noch, da es sonst"zu lange dauert". So merken viele Lehrkräfte gar nicht wie schlecht Schüler lesen. Oftmals klappt das Zusammenlesen von Buchstaben noch ganz passabel, allerdings wird der Inhalt des Textes nicht kapiert. Schüler kommen aus der Grundschule deren Erstleseprozess nie abgeschlossen wurde und sie verlassen auf dem gleichen Stand die Mittelschule. Allerdings haben sie gelernt die Defizite gut zu verbergen. AGs, die Leseanreize schaffen, wie "die Vorleser" existieren gar nicht mehr, da die Schulen froh sind, wenn sie das Pflichtprogramm bieten können. So verkümmert auch die "Individualisierung" zu einer bloßen Phrase. Natürlich kann man einzelne Schüler in jedem Unterricht fördern. Das gelingt bei sehr großer Diversität neben Schülern mit Verhaltensauffälligkeiten, die oft besonders viel Aufmersamkeit benötigen oder großen Lernproblemen, selten zufriedenstellend.

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  2. bei uns kommen die jungen menschen an, die eine lehre machen möchten. sie haben einen hauptschulabschluß und verstehen trotzdem nicht, gelesenes in eigenen worten zu sagen und folgerichtig umzusetzen.
    freundlichen gruß, roswitha

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