Samstag, 27. Januar 2024

Drei Jahre 303 T C, 1 Jahr 332 T Krieg in UA, 112 T Krieg in Israel und Gaza und: Melanie Safka † II

Melanie Safka hat durchaus zwei Blogeinträge hintereinender verdient. Hier der treffende Nachruf von Willi Winkler, der den nicht SZ lesenden Leser:innen nicht vorenthalten werden soll.
In München 2009 (en. Wikipedia)

Süddeutsche Zeitung, 26.01.2024, S. 12
Feuilleton

Ein Geschenk für die Welt

In Woodstock wurde sie ein Star, später war sie Friedensbotschafterin, Glücksverkünderin: Nun ist die Folk-Legende Melanie Safka in Nashville gestorben.

VON WILLI WINKLER

Kurz nach der Zeitenwende zu den Siebzigern, tief im vergangenen Jahrhundert, wurde der Vorname Melanie plötzlich populär. Angeblich geht er auf zwei Römerinnen des vierten und fünften Jahrhunderts zurück, die Aufnahme in den katholischen Heiligenkalender fanden, weil sie Klöster gründeten (die ältere) beziehungsweise gute Werke taten und fasteten (die jüngere). Aber die Eltern, die ihren Töchtern diesen kostbaren Namen gaben, waren keineswegs besonders fromm, sondern Hippies (oder wären es gern gewesen), Angehörige der Woodstock Generation. In Woodstock nämlich kam 1969 am ersten Festivalabend, als eben der Regen einsetzte, eine junge Frau auf die Bühne, geradezu klinisch drogenfrei, bewaffnet nur mit einer Gitarre und langen Haaren, und fing kurz vor Mitternacht mit leicht heiserer Stimme an, die „Beautiful People“ vor ihr zu besingen. Sie war für eine wasserscheue Band eingesprungen und hatte Glück, weil sie mit ihrer Akustikgitarre keinen Stromschlag fürchten musste. Ravi Shankar, der vor ihr aufgetreten war, hatte der Menge geraten, Kerzen anzuzünden und damit den Regen zu vertreiben, was logischerweise nichts half, aber für eine stimmungsvolle, Georges-de-La-Tour-mäßige Szenerie und vor allem für den Song „Lay Down (Candles in the Rain)“ sorgte, mit dem Melanie, die mit Nachnamen Safka hieß, aber immer Melanie blieb, zum Inbegriff des Blumenkinds wurde.

  Von den Frauen, die in Woodstock auftraten, war sie die jüngste, die mit der geringsten Bühnenerfahrung, aber einer kammerspielhaft ernsten Präsenz. Grace Slick hämmerte „Somebody to Love“ in die Menge, Janis Joplin brachte mit „Piece of My Heart“ den ganzen Schmerz der gepeinigten Kreatur auf die Bühne, Joan Baez sang mit ihrer hellen Stimme die Protesthymnen „Joe Hill“ und „We Shall Overcome“, aber Melanie verzauberte alle mit ihrer Unsicherheit.

  In späteren Jahren war sie esoterischer Weltbetrachtung nicht ganz abgeneigt, wozu ihr das Erlebnis dieser mystischen Nacht genügend Anlass geliefert hatte. Zum ersten Mal sei ihr da eine außerkörperliche Erfahrung zuteilgeworden, erzählte sie später, sie sah sich von hoch oben zu, wie sie bebend auf die Bühne trat und vor Angst nicht wusste, wohin mit sich, und dann wieder zurückfand und spielte. Sie war ein Geschenk für die Welt.

  Melanie Safka, 1947 in New York geboren und väterlicherseits ukrainischer Herkunft, wollte ursprünglich zum Theater und war eher aus Versehen an einen Musikproduzenten geraten, den sie dann auch gleich heiratete. Im Greenwich Village klampfte sie noch vor einem überschaubaren Publikum, seit der Nacht in Woodstock war sie mit einem Mal ein Popstar. Sie blieb aber weit weg von der schwermetallenen, immer orchestraler und schließlich immer glammiger werdenden Musik der Siebziger. Sang mit dieser zwischen Unsicherheit und Burschikosität changierenden Stimme absolut glaubwürdig über das Drogenopfer Ruby Tuesday, das die Rolling Stones erfunden hatten. Bei ihnen blockflötete im Hintergrund noch der mittlerweile heimgegangene Brian Jones, Melanie nahm das Triumphale heraus und gab den Schmerz dazu. She would never say where she came from … Goodbye, Ruby Tuesday.

  Dabei war sie alles andere als gramzerfurcht, sondern glücklich verheiratet, bald Mutter von drei Kindern, Friedensbotschafterin, Glücksverkünderin, ein ewig fröhliches Mädchen. Bei der Skater-Hymne „Brand New Key“ gelang ihr das Kunststück, ein Volkslied zu schaffen, das keinen Autor braucht, und damit gleichzeitig schlimmster lehrbuchhaft freudianischer Anspielungen verdächtigt zu werden. Sie hatte das Liedchen in fünfzehn Minuten fertig, wie sie behauptete, befeuert allerdings durch eine wochenlange Fastenkur. „Look at What They Have Done to My Song, Ma“ klang dann fast schon selbstreferenziell, war aber wieder bestes Mitsing-Liedgut, wie es das Duett bewies, zu dem sie sich 2015 mit Miley Cyrus zusammenfand. Eine deutsche Fassung sang Daliah Lavi.

  Von 1971 bis 1973 gehörte sie zu den weltweit erfolgreichsten Sängerinnen. In ihren besten Tagen ersetzte sie mit ihrer Stimme eine ganze Mädchengruppe, so wenn sie den Klassiker der Shirelles übernahm, „Will You Love Me Tomorrow“. Melanie nahm zu an Alter und Weisheit, wurde von Billie Joe Spears, Nina Simone und Queen Latifah nachgesungen, nahm selbst weiter Platten auf und blieb doch das Blumenkind mit der Gitarre und den langen Haaren.

  Yesterday don’t matter, if it’s gone, hat sie gesungen. Am Dienstag ist das unsterbliche Hippiemädchen Melanie im Alter von 76 Jahren in Nashville gestorben. Sie war eine der wenigen Heiligen unserer Tage. Goodbye, Melanie.


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