Freitag, 22. August 2025

3 Jahre 176 Tage Ukrainekrieg, noch 3 Jahre 147 Tage das Großmaul und: Eugen Gomringer †

Der Blog wird allmählich zu einer Geburtstags- und Nachrufseite.

Gestern starb Eugen Gomringer, in Bamberg, wo Tochter Nora lebt und arbeitet.


Er war der Begründer der Konkreten Poesie (mit Verlaub, Herr Jandl, Sie wären heuer auch 100 geworden).

kein fehler im system (3)

kein system im fehler
kein system mir fehle
keiner fehl im system
keim in systemfehler
sein kystem im fehler
ein fehkler im system
seine kehl im fyrsten
ein symfehler im sekt
kein symmet is fehler
sey festh kleinr mime

© Edition Splitter, Wien
(Aus: Vom Rand nach Innen. Konstellationen 1951-1995.
Werkausgabe Bd. 1. Nachw. von Karl Riha.. Wien: Edition Splitter , 1995
www.splitter.co.at
Audioproduktion: 2004, M.Mechner / Literaturwerkstatt Berlin)

H. hatte ihm noch zum 100. Geburtstag gratuliert.

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Von Nora heute Abend:

Es steht nun in der Zeitung und ist doch noch unwirklich. Auch steht es z.T.  falsch und man fragt sich, wie und was noch recherchiert wird in den Redaktionen. (Meine Mutter hätte sogleich Leserbriefe - strenge!- geschrieben:) Unser Vater, Eugen Gomringer, bolivianischer Schweizer, Dichter, Professor der Ästhetiklehre, Herausgeber und mit-Begründer der legendären Literaturzeitschrift “Spirale”, Rosenthaler mit Herz und ganzer Seele, Werkbundler, erster von Albers lizenzierter Verkäufer von Albers “Quadraten” und Freund unendlich vieler Bildender Künstler, die rührend ! die Treue hielten, flammender Rotarier und Paul Harris Fellow, ist am Donnerstagmorgen (nicht Freitag!) verstorben. Ich fand ihn und bin glücklich, dass ich diesen Blick haben durfte. Er war mir die letzten Jahre anvertraut und ich nahm diese Aufgabe furchtbar ernst. Alle, die mich und uns, den Vater, den Bruder und mich, durch diese Zeit begleitet haben, wissen, welche Spuren es hinterlassen hat.

100 wurde er und ich fand es triumphal, dass der Erfinder - nicht “Miterfinder”- der konkreten poesie mit den Kollegen Jandl und Gappmayr im selben Jahr 100 wurde. Und er es erlebt hat.

Irgendwie stellvertretend.

Jetzt ist es still und schwer. Und leer. Drei Wochen hat er gekämpft und ist letztlich ruhig entschlafen. Mein Mann, mein Bruder und ich hielten Wache an seinem Bett gestern, als er abgeholt wurde, war es trotzdem ein Schock für mich. Es bleiben viele Fragen über das Alter, den unerbittlichen Jedermann-Prozess, die Pflegeversorgung, das eigene Tun, Handeln und Zagen und die unendlichen Fragen zum Vater, seinem Leben, seiner Person. Ich reihe mich in die lange Reihe der alten Waisenkinder, weiß mich in bester Gesellschaft und doch… mein Papa ist nun fort. Und ich steh da wie ein “kleines Dreieck” (Kosename für mich in kleinkindlicher Winterkleidung).

- Nora Gomringer

(die nächsten Tage nur sporadisch erreichbar, alle lieben Worten aufnehmend, aber nicht fähig, zu antworten. Eine Weile. Dann hier und da spontan. Danke im Namen der Gomringers, Heides, Ottenhausens, Kleins und Wilkers. Diese Familie hat viele Ecken und Kanten, an und von denen uns andere kennen. Da ist immer gute Sicht, aber wir verstehen uns: Einsichten gibt es nur wenige. Die meisten gehören uns doch allein: “vom rand nach innen” wie eines der tollsten Bücher von EG betitelt war.

Das letzte von unserer Familie autorisierte Foto ist dieses Portrait von Jacobia Dahm: Es steht nun in der Zeitung und ist doch noch unwirklich. Auch steht es z.T.  falsch und man fragt sich, wie und was noch recherchiert wird in den Redaktionen. (Meine Mutter hätte sogleich Leserbriefe - strenge!- geschrieben:) Unser Vater, Eugen Gomringer, bolivianischer Schweizer, Dichter, Professor der Ästhetiklehre, Herausgeber und mit-Begründer der legendären Literaturzeitschrift “Spirale”, Rosenthaler mit Herz und ganzer Seele, Werkbundler, erster von Albers lizenzierter Verkäufer von Albers “Quadraten” und Freund unendlich vieler Bildender Künstler, die rührend ! die Treue hielten, flammender Rotarier und Paul Harris Fellow, ist am Donnerstagmorgen (nicht Freitag!) verstorben. Ich fand ihn und bin glücklich, dass ich diesen Blick haben durfte. Er war mir die letzten Jahre anvertraut und ich nahm diese Aufgabe furchtbar ernst. Alle, die mich und uns, den Vater, den Bruder und mich, durch diese Zeit begleitet haben, wissen, welche Spuren es hinterlassen hat.

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Nora Gomringer, geboren 1980, ist Schweizerin und Deutsche. Sie ist Lyrikerin und schreibt für Radio und Feuilleton, veröffentlicht Kolumnen und Essays. In den letzten Jahren ist ihre Medienpräsenz durch verschiedene Film- und TV-Arbeiten gewachsen, dabei wird ihr Name fest mit Gedichten und Kulturvermittlung verbunden. Auftragsarbeiten wie Libretti für Opernprojekte und das Theaterstück „OINKONOMY“ wurden für verschiedene Bühnen realisiert. Gastprofessuren und Stipendien führten sie nach Sheffield, Koblenz/Landau, Oberlin/Ohio, Kyoto, New York und Novosibirsk. Seit 2010 ist sie Direktorin des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg/Bayern. 2015 gewann sie den Ingeborg-Bachmann-Preis für den Prosatext „Recherche“ und 2020 die Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz für ihre Verdienste für die deutsche Sprache. Ihre letzte Auszeichnung ist der Else-Lasker-Schüler-Lyrikpreis 2022. Ihr Werk ist in zahlreiche Sprachen übersetzt. 

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