Montag, 24. August 2020

Gastbeitrag 7 der Schulleiterfreundin

Lieber Hauptschulblues,

Wehmut steigt auf, wenn ich zehn Jahre zurück denke. Die Schulsituation hat sich brutal verändert. Ich habe wieder einmal die Hälfte des Kollegiums verloren. Es kommen Frischlinge, die ich in die oberen Klassen stecken muss. Eine Grundschullehrerin als Klassenlehrerin und noch weitere Grundschullehrer mit 6 bis 8 Wochenstunden. Für einige Lehrkräfte, die ihren Dienst nicht antreten werden, brauche ich gleich mobile Reserven. Frau S., Tochter im Grundschulalter, geht zudem in Elternzeit.

Ein Trost - die Neuen sind meist eifrig. Eine hat mir unter dem Betreff "Mein Schulbeginn in Niederdingharting!" ihre Freude mitgeteilt. Diese wird sich stark trüben, wenn sie erfährt, in welcher Klasse sie unterrichten muss, uund dort auch Mathe. Inzwischen haben wir schon telefoniert und ich musste ihr leider mittteilen, dass die oberen Klassenstufen in Frage kämen.

Eine Junglehrerin wollte in die 9. Klasse. Das habe ich verhindert, weil sie eh schon in der 8. Klasse diverse Probleme mit ihren Prüfungsfächern und der Organisation hatte. Sie war entsetzt, dass sie ab September außer ihren Prüfungsfächern auch noch andere Fächer geben muss, Mathe beispielsweise - eben insgesamt 27 Wochenstunden Unterricht. Mit Vorbereitung lässt sich bei Anfängern kaum eine 40 Stundenwoche einhalten. Unterricht, pädagogisches Einwirken und Motivation, ständiges Nachhaken eine Lehrstelle betreffend oder wenigstens eines Anschlusses, Prüfungsvorbereitung, vermehrte Korrektur, ... Da musste sie gleich weinen und wir haben uns auf eine andere Klasse geeinigt. Ich weiß nicht, was sich manche Leute denken, war das vor den Prüflingen geheim, wie sie eingesetzt werden?
Es hat sich schon herumgesprochen: Grund- und Mittelschullehrer haben eine höhere Unterrichtsbelastung, mehr erzieherische Belastungen und sehr viel weniger Vergütung als Lehrer aus anderen Schularten. Die Aufstiegschancen sind äußerst mäßig. Grund- und Mittelschulen sind eben die einzigen Pflichtschulen. Aufgrund der wenigen Anreize studieren junge Menschen Lehramt für andere Schularten, wo auch die gesellschaftliche Anerkennung höher ist. In den letzten Jahren hatten wir Quereinsteiger aus Realschulen und Gymnasien. Dort gab es mehr Bewerber als Plätze. Das gab schon Hoffnung. Nun hat sich das Blättchen wieder gewendet und die Gymnasiallehrer können wieder zurück. Das tun sie natürlich auch sogleich.
Glücklicherweise sind unsere Schüler mit so viel menschlichen Kompetenzen ausgestattet, dass man als junge Lehrkraft eine Chance erhält.
Dazu kommt bei Lehrern, frisch aus dem Referendariat, dass, wenn sie an eine neue Schule kommen, sie oft organisatorische Probleme haben und da kann es schon mal vorkommen, eine Bestätigung für einen Arztbesuch als Attest anzuerkennen.
An einem Buß- und Bettag hat sich die Lehrerschaft einmal zusammengesetzt und hat einen Schulguide erstellt, der digital abrufbar ist und sämtliche Formulare, Prüfungsvorschriften etc. enthält. Es ist ein riesiges Gesamtwerk entstanden. 
Um Lehrerstunden zu sparen, habe ich sämtliches Zusatzprogramm, was eigentlich unser Schulprofil ausmacht, gestrichen. Es wird nichts zur Routine, nichts kann weiter ausgebaut werden, man fängt stets bei Null an.
Die Stunden sind so knapp bemessen, dass ich froh bin, den Grundbedarf decken zu können.
Auch mit den Unterrichtsbesuchen und Beurteilungen kommt man kaum noch nach. Kaum denke ich, dass ich auf dem Laufenden bin, schon sind die Lehrer wieder weg. Ebenso ein Hygienekonzept (das xte) und wie wir den Unterricht bei verschiedenen Szenarien gestalten. Mit oder ohne Abstand, mit oder ohne Maske, womöglich auch im Unterricht oder nur auf dem Flur, gibt es Musik mit Singen, Sport mit körperlicher Betätigung in der Halle, Mittagessen mit Selbstbedienung in der Mensa, ausgelegt auf 150 Personen? Das Überraschungsei kommt noch.

Deine Schulleiterfreundin

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