Lieber Hauptschulblues,
mittlerweile bin ich mit dem Distanzunterricht schon relativ routiniert,
vor allem die älteren Schüler*innen verhalten sich recht diszipliniert.
Es wird gemeldet, man lässt ausreden... Ungern wollen die Schüler*innen
aber um 8 Uhr auf dem Bild zu sehen sein. 💆 Vermutlich kein erfreulicher
Anblick, also dann eben nicht.
Auch erlebte ich schon, dass ein Schüler,
der beim Meeting in der Küche saß, vom Vater gestört wurde. Dieser schob
sich in den Hintergrund, gut sichtbar, in labbrigen Jogginghosen und
Unterhemd, starrte verschlafen in die Kamera und kratzte sich dann am
Rücken. Er schlurfte weiter zum Kühlschrank, entnahm etwas und
verschwand wieder. Aber auch ohne Bild kann es zu Überraschungen kommen.
Wir versuchten gerade eine schwierige Frage zu klären. Es herrschte
Stille. Plötzlich, laut und deutlich eine Klospülung. Kurzes Schweigen.
Mindestens 17 empörte Reaktionen: Ich war`s nicht!
Ein Anruf eines Klassenlehrers der 7. Jahrgangsstufe am Donnerstag.
Gerade hätte ein Schüler den gesamten Teams-Account der Klasse mit allen
Aufgaben und abgegebenen Schülerarbeiten gelöscht. Kein Versehen, das
hatte er frech der gesamten Klasse angekündigt. Der Lehrer hatte den
halben Vormittag damit verbracht, alles soweit wie möglich wieder zu
installieren. Der Knabe verbringe seine gesamte Freizeit vor dem PC,
nicht nur mit Ballerspielen. Tatsächlich kenne es sich sehr gut aus, das Bürschchen. Der Lehrer rief empört bei ihm daheim an. Der Schüler war
gleich am Telefon, freundlich und auskunftsbereit. Er wies höflich
natürlich sämtliche Schuld von sich. Nein, die Eltern seien leider beide
nicht daheim. Die Mutter weile auf Urlaub im Kosovo. Der Vater arbeite
sehr hart bis abends um 10 Uhr.
Nun besprachen der Kollege und ich, dass da unbedingt mal die
Jugendbeamten vorbei schauen sollten und ob man nicht gleich beim Jugendamt auf
Kindswohlgefährdung plädieren soll. Das klinge eben ganz nach häuslicher
Vernachlässigung. Der Lehrer versuchte noch einen letzten Anruf beim häuslichen Festnetz der Familie. Jetzt war tatsächlich die Mutter am
Telefon. Verwirrt, natürlich nicht im Kosovo. Der Vater: Auch da! Als
Frisör natürlich Leidtragender der Coronaepidemie. Beide komplett
entsetzt und ungläubig. Dann das Geschrei einer Auseinandersetzung.
Tatsächlich konnte keiner nachvollziehen wie das dem Jungen gelungen
war. Er hatte natürlich wie jeder Schüler nur beschränkte Zugangsrechte.
Er hat sich nicht geäußert. Das bleibt wohl sein Geheimnis. Ich habe ihm
im Wiederholungsfall angedroht, dass er bei Teams gesperrt würde, er
seine Unterlagen ausschließlich aus einer Plastikbox im Schulhof
entnehmen und am Nachmittag dort seine Ergebnisse für den Lehrer
deponieren müsse.
Vermutlich steht dem Jungen eine Karriere in der IT-Branche bevor, davon
bin ich überzeugt.
Ja, sonst wurde bei euch der Schnee weg geregnet und bei uns wurde er mehr. Bis zum nächsten Mal.
Deine Schulleiterfreundin
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