Donnerstag, 22. April 2021

Tag 406 und neue Geschichten der Schulleiterfreundin 14

Lieber Hauptschulblues,

jetzt melde ich mich schon wieder. Die Zeiten sind frostig wie das Klima. Bei uns ist es ja noch kälter als bei euch in der Großstadt.

Gestern habe ich wieder einen Kampf geführt. Langsam fällt auch jegliche Zurückhaltung von mir ab. Ein Schüler der xx. Klasse weigerte sich an den Testungen teilzunehmen. Er hat die gesamte Woche auch nichts für die Schule getan, obwohl er alles per Teams bekommen hat. Am Donnerstag rief dann die Mutter die Lehrkraft an (junge Lehrkräfte geben noch die private Nummer raus). Sie wollte wissen, wann denn endlich ein Distanzunterricht beginnen würde. Die Lehrerin gab an, dass sie dem Jungen alle Unterlagen habe zukommen lassen. Ja, ja, das schon, aber keinen Unterricht. Dann meinte die Lehrkraft, dass sie für jeden Tag eine feste Sprechzeit angegeben habe. Am Dienstag habe der Knabe noch geschlafen, am Mittwoch sei er gerade bei seinen Zuchtkaninchen gewesen. Man schlage Donnerstag 20 Uhr vor. Da sei der Sohn dann daheim.

Mit einer Zorneswallung riss ich den Vorgang an mich und rief den Vater an. Der erwies sich schnell überladen mit "Querdenker"-Gedankengut. Als Nächstes würde ich noch Impfungen anordnen. Diesen Schmarrn ignorierte ich. Zunächst freundlich wies ich ihn daraufhin, dass sein Sohn ja bald Prüfungen habe und gerade sehr abgehängt würde. Dann beschrieb ich ihn nochmals den Vorgang des Selbsttests. Ich erhielt sodann einen Vortrag über die Gefahren des Nasenbohrertests: Schwere Hirn- und Leberschäden durch Nematoden, Verletzung wichtiger Nervenbahnen ... 

Ich könnte doch dem Sohn einen Spucktest besorgen. Klar. Beherrscht, aber schon mit knirschenden Zähnen erklärte ich, wie wir an die Schnelltests kommen und dass wir kein Mitspracherecht bei der Auswahl haben. Ich fragte nun unverblümt, ob er oder sein Sohn sich noch nie in der Nase gebohrt hätten. Die Finger undesinfiziert, da seien die Gefahren viel unkalkulierbarer. Verwenden Sie Wattestäbchen für die Ohren oder gar Tempotaschentücher?

Trotziges Schweigen.

Hallo, sind Sie noch am Telefon? Dann bliebe es beim Distanzunterricht und er könnte mir gleich mal die Zeiten durchgeben, sein Sohn sei Kaninchenzüchter und da gebe es jetzt einen wichtigen Wettbewerb... irgendwas mit 450km. Mit unterdrücktem Zorn unterbrach ich ihn und meinte, dass wir die Zeiten festlegen, dann gab ich ihm unsere Zeiten durch und schloss die Abendstunden aus. Das brachte den Vater auf: Da hätte die Politik uns schon durchschaut. Jetzt gäbe es einmal eine Situation und die Lehrer müssten arbeiten wie andere auch und schon sind sie überlastet. Altklug setzte er hinterher: Besondere Zeiten verlangen eben besondere Anstrengungen. Ich sagte, dass dies für ihn auch Gültigkeit hätte und dass die Definition für besondere Anstrengungen nicht er festzulegen hätte. Hiermit beendete ich das Gespräch.

Mit der Lehrkraft habe ich dann vereinbart, dass der Knabe entweder die Unterlagen annimmt oder eben nicht, wenn er die Gesprächszeit annimmt gut, wenn nicht, auch gut. Basta. Keine Verhandlungen. Telefonate abends und privat verbittet sich die Kollegin in Zukunft und sie werden dann auch ignoriert. Eben ein fauler Sack.

Dass man überhaupt so ein Geschiss machen muss für Leute, die eigentlich andere Prioritäten haben. Vielleicht noch Schuhe putzen und andere Dienstleistungen? Da hat Frau B. schon bei Facebook das richtige Urteil über uns abgegeben: Kein Service und gleich das Jugendamt.

Aber doch immer schön, wenn man alle Verantwortung (wie einige Politiker) so einfach abwälzen kann. Vor allem so bequem. Ich fürchte, dass die Wähler das leider nicht durchschauen. Gestern, ich kam gerade noch vom Einkaufen, klingelte in der Schultasche im Kofferraum mein Handy. 17 Uhr, dran war das Gesundheitsamt. Mir wurde Name und Klasse durchgegeben. Positiv (unser Schnelltest war auch positiv). Ob wir denn die Hygienevorschriften eingehalten hätten: Abstand, ... Natürlich. Ob der Schüler ein bestätigter Maskenverweigerer sei. Jetzt wurde es absurd. Der Mann wurde verlegen, das käme immer häufiger vor und mit gültiger Bestätigung eines Arztes müsse man das dulden. Also, amtlich bestätigte Egoisten mit Narrenfreiheit. Die könnten doch in den Distanzunterricht, wollen aber nicht.

Gottlob ist ab Montag überhaupt wieder Distanzunterricht. Nur die Abschlussklassen kommen noch.

Es grüßt Dich

Deine Schulleiterfreundin

6 Kommentare:

  1. Man mag es kaum glauben, das sind ja wirklich Geschichten, die das Leben schreibt. Wäre es nicht so traurig, könnte man es unter Realsatire buchen.
    Jede Menge Hochachtung für die Schuleiterfreundin. Möge sie stark bleiben!

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    1. Sie erzählt gerne und hat auch viele lustige Geschichten auf Lager. In absehbarer Zeit geht sie in Rente. Ich ermuntere sie schon, einen Geschichtenblog zu schreiben oder ein Büchlein über ihre Erlebnisse.

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  2. Feste Sprechzeiten sind doch schon ein ausgesprochener Service, finde ich. In diesem Fall gäbe es bei mir das ganz sicher nicht.

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  3. Soweit ich mich erinnere, haben sich Unterrichtszeiten aber doch früher auch nicht nach den Vorgaben des Kaninchenzuchtvereins gerichtet?

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    1. Außerdem gab es kein Internet. Und selbst die Zeiten, in denen Telekolleg auf den dritten Programmen übertrug, waren klar festgelegt.

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  4. Man möchte es nicht für möglich halten. Danke für diese Einblicke und bitte die Schulleiterfreundin weiter zum Schreiben ermutigen.

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