Montag, 31. Mai 2021

Der Schulleiterfreundin reicht es: Gastbeitrag 16

Lieber Hauptschulblues!

Es reicht. Bei uns treten sich die Münchner gegenseitig auf die Füße. München muss ja himmlisch leer sein. Ich glaub, ich komme in die Stadt.

Ansonsten reicht es mir aber auch.

Da ist ein Artikel aus der SZ: "Kürzen auf Kosten der Kinder". (Vorsicht Bezahlschranke!)

Eines kommt im Artikel natürlich nicht so raus: Der gebundene Ganztagsschule stirbt. Totgespart!
Das hängt niemand an die große Glocke. 
Realität ist: Die Einbindung von externen Kräften war noch nie einfach. Das weißt du aus eigener Erfahrung als Schulleiter. Ihnen fehlt einfach die Grundausbildung. Meist geht man von "sozialpädagogischen" Konzepten aus. Dabei spielt "Freiwilligkeit" eine große Rolle. Kinder, auch Erwachsene, machen jedoch nicht alles freiwillig. Wer lernt schon freiwillig seine Vokabeln oder macht freiwillig Hausaufgaben?
Den kumpelhaften Umgang, gepaart mit dem Nichtaufzeigen von Grenzen, kriegen viele Schüler obendrein in den falschen Hals. Viele kommen aus patriarchalisch geprägten Elternhäusern. Kumpanei gilt als Schwäche, aus dem Kumpel wird schnell der Unterlegene. Du hast mir vor Jahren von einem externen "Kollegen" an Deiner Schule erzählt, Du weißt, was ich meine. Auch die Thematik der Stärkung der Persönlichkeit über schwammige Inhalte und Methoden lässt über diese Tatsache nicht hinwegtäuschen. Es bleibt nur Thema, die Umsetzung fehlt.
Alles stellt eine klare Überforderung dar und zwar für alle Beteiligten! Es gibt kaum Anbieter mit einem einigermaßen akzeptablen Konzept, im Gegenteil ‐ es gibt immer weniger gute Anbieter. Diese merken ziemlich schnell, dass alles ein Flickschustergebilde ist. Niemand kann so zufrieden sein.
So erhalten Jugendliche, deren Leben zumeist aufgrund mangelnder Frühförderung nicht gerade erfolgreich verlief, unreflektierten Freiraum ohne Förderung persönlicher Schwächen und Lücken. Das kennen unsere Schüler meist schon von daheim: Nicht kümmern und Nichtbeheben von Schwächen, Verwahrlosung, mangelnde Sprachbildung,... Spielchen, die niemanden wirklich interessieren, aber als Wundermittelchen zur Persönlichkeitsbildung verkauft werden. Notwendig wären Sprachbildung, Leseförderung, mathematische Bildung, naturwissenschaftliche und technische Bildung und Vorbreitung auf die beruflichen Anforderungen.
Meist wird Zeit einfach tot geschlagen, verwahrt, vertan.
Die versprochene Förderung findet immer weniger statt. Zumal jetzt suggeriert wird, dass es ausgebildete, studierte Kräfte gar nicht braucht, jeder kann fördern und unterrichten. Wie schön.
Die Kooperationspartner erwarten, dass in jedem Externenkurs auch ein Lehrer mitwirkt, quasi zur Aufrechterhaltung einer dem Lernen dienlichen Atmosphäre. Das konnten wir bislang gerade noch leisten, jetzt aufgrund der Streichung von Lehrerstunden natürlich nicht mehr. Damit mit der wenigen Knete noch kleine Gruppen gebildet werden können, kommen junge Menschen im freiwilligen sozialen Jahr oder Praktikanten zum Einsatz. Da sich herumgesprochen hat, dass unsere Schüler am Vormittag noch aufnahmebereiter sind als am Nachmittag, drängen die Ganztagespartner in den Vormittag. 
Am Nachmittag haben es die ausgebildeten, regulären Lehrkräfte mit bis zu 25 Schülern in Klassenstärke (wer weiß, vielleicht beträgt diese bald wieder 32?) dann schwer, den Mathestoff in die ausgepowerten Köpfe zu kriegen. Schließlich hat man sich am Vormittag schon richtig ausgetobt, viele Konflikte wurden aufgerissen oder gar ausgetragen, aber nicht geklärt, obwohl gerade das eines der Ziele war.
Von Anfang an hat man sich gegen qualitativ hochwertige Konzepte gesträubt, eingeforderte Qualitätskriterien blieben schwammig. Die Ganztageskonzepte wurden bewusst für die Schulen "offen" gelassen.  Die kosten ja was. Also macht mal - möglichst kostenfrei! Schreinern, Theater spielen, Musizieren, kreatives Schreiben, ..., das fällt leider flach, da neben den höheren personellen Kosten für ausgebildetes Personal noch Materialkosten anfallen. Als Schulleitung versucht man permanent und krampfhaft  Geldhähne zu finden. Den eigentlich  Verantwortlichen, die selbstgefällig die Augen verschließen, ist das schnuppe. Zynisch verkündet man, dass man die Eigenverantwortung der Schulen stärken wolle. Man muss ein sehr großer Menschenfreund sein, um da etwas Vernünftiges entstehen zu lassen. Meist spielen die Beteiligten, die Kooperationspartner, nicht dauerhaft mit.
Auch muss man sich ernsthaft fragen, warum immer weniger junge Menschen den Beruf der Mittelschullehrkraft studieren: Die angeblich langen Ferien, das üppige Beamtengehalt samt sicherer Pension und die Unterrichtsstunden von momentan noch 27 Wochenstunden locken nicht. Naja, da kommt noch die Vorbereitungszeit dazu. Mich wundert, dass man da nicht schon eifrig gestrichen hat. Man suggeriert, dass den Unterricht quasi jeder hinkriegt. Ein Kinderspiel.
Woran das nur liegt, dass an Gymnasien und Realschulen kein "Lehrermangel" herrscht? Da habe ich mir wirklich schon darüber den Kopf zerbrochen. 
Konsequent wäre für Mittelschulen die Abschaffung der gebundenen Ganztagsschule. Die für berufstätige Eltern sinnvolle Betreuungsmöglichkeit müsste durch Tagesheime geschehen. Es wäre zumindest ein ehrlicherer Umgang mit der Thematik. Durch vernünftige Bündelung der Ressourcen wäre das womöglich auch noch kostensparend. Jedenfalls wären die Lehrer frei für den Pflichtunterricht. 
Zudem böte sich eine Abschaffung bestimmter Förderschulen an, z.B. für sozial‐emotionale Störungen oder Lernbehinderungen. Diese Schüler sitzen sowieso schon aufgrund des Elternwillens zumeist mit der Empfehlung Ganztagesklasse in der Mittelschule. Die Zahl dieser Schulwechsler ist steigend. Als Pflichtschule hat man die Aufgabe der Inklusion. Das wollen europäische Gesetze und der Wähler.
Vermutlich werden wir in der Zukunft erleben wie sich meine Visionen verwirklicht. Leider ist allerdings der Leidensweg noch am Andauern, die guten Vorsätze lässt man nicht so schnell sterben. Man hat so den Eindruck, dass Mittelschulen neben den anderen Schularten eine Randgruppe darstellen, nach dem Motto "da war doch noch was".
Wie locker flockig und verlogen der Umgang mit der Pflichtschule Mittelschule ist, fällt wohl schon vielen jungen Menschen auf, die sich deshalb bewusst für andere Studiengänge entscheiden. Vielleicht findet sich ja beispielsweise wenigstens ein Handwerksmeister, der eine schulpädagogische, soziale Ader an sich entdeckt. Aber vermutlich schrecken das schlechte gesellschaftliche Ansehen (momentan für die Politik als Sündenbock ganz bequem) und die Bezahlung ab. 
Gerade die durch die Coronapandemie hervorgerufenen Lücken sind in unserer Schulart besonders schwer zu beheben. Da nutzen auch die hochtrabenden Konzepte des ISB nichts. Neben nicht vorhandenem Personal für Ferienkurse werden auch die Nachhilfeschüler selbst fehlen. Viele fiebern schon jetzt ihrem Urlaub im Heimatland entgegen. Im August herrscht im ausgestorbenen Viertel neben der Schule tote Hose. Die ISB-Ziele wären schon bei vollem Unterrichtsbetrieb kaum realisierbar. Viele Lehramtsanwärter:innen waren bereit einen Teil ihrer Ferienzeit zu opfern. Viele Lehrer haben sich trotz der Streichung der unterrichtsfreien Tage in den Winterferien mit Elan in den Distanzunterricht gestürzt. Trotz mangelnder Ausrüstung. Aber kreativ!
Mir fiele dazu noch eine Menge ein. Der Akku ist gleich leer.
 
Gruß Deine Schulleiterfreundin

2 Kommentare:

  1. Dieser Ganztagsschulbetrieb läuft nur, weil ganz viele weg sehen. Die Nachbarschule, eine Realschule plus mit Hauptschule und Realschule, leidet sehr. Die Schüler, die zuhause keiner haben will, sind dann am Nachmittag da. Das Engagement der Freiwilligen aus den Vereinen war groß, schwindet aber.
    Es müsste sein wie in den Internaten: bezahlt und ausgebildete Erzieher übernehmen am Nachmittag die Betreuung. Sie können mit den Jugendlichen entsprechend umgehen, erkennen Defizite und können die nacharbeiten. Das schafft der Jugendtrainer aus dem Tischtennisverein eben leider nicht.
    Die Förderschulen werden aufgelöst. Und Jugendlichen, die eine Klassenstärke von 12 benötigen, sind jetzt Teil von Gruppen mit 25 Schülern. Es ist allerdings die billigere Lösung.

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  2. ja, so ist es. und aus eigenen erfahrungen kann ich noch hinzufügen, diese "hilfefirmen" scheinen nur gegründet, um gelder abzuschöpfen. wenn ich höre das der leitsatz sei, "menschen da abholen, wo sie stehen" sträubt sich alles in mir. klar sollte man schauen, wo der betreute mensch steht, aber man darf da nicht verharren, und auf der stelle rumtrampeln. viele gute kräfte sind weg, geblieben sind oft die, die einen lauen job haben wollen. und die, die ihre arbeit ernstnehmen und nun auch noch unter den kollegen/-innen leiden müssen, zu allem anderen.

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