Samstag, 8. Mai 2021

Gastbeitrag 15: Die Schulleiterfreundin schreibt wieder

Hallo Hauptschulblues,

die Abstände, in denen ich mich melde, werden kürzer. Aber die Probleme türmen sich auch.
Raus kommen wird nichts mit den Protesten gegen die Abschaffung von Teams. Natürlich habe ich die Kommentare auf deinem Blog gelesen.
Leider können das Lehrkräfte anderer Schularten gar nicht so richtig nachvollziehen, wie schwierig Distanzunterricht bei uns ist. Bei T. O. sitzen tatsächlich Schüler, die noch in der 7. Jahrgangsstufe im Zahlenraum bis 20 rechnen.
Immer häufiger kommen Kinder in die 5. Klasse, denen zwar vom Wechsel an die Regelschule abgeraten wurde, nachzulesen in den erstellten Gutachten, deren Eltern jedoch Stein und Bein schwören, dass man den Wechsel empfohlen habe. Sie haben auch eine gewisse Routine entwickelt wie man das Problem umschiffen kann:

1. Man erscheint nicht zum Gesprächstermin mit Lehrkraft und Beratungslehrkraft und gibt dann an, man habe es leider vergessen.

2. Man könne sich gar nicht vorstellen, wie es sein kann, dass die Leistungen so schlecht seien, da der Test überdurchschnittlich gut sei. (Das stimmt natürlich nicht, man glaubt natürlich, dass wir das aus Datenschutzgründen nicht besser wissen.)

3. Man gibt den Schulwechsel als Grund an und dass das Kind sehr schüchtern sei und eine gewisse Eingewöhnungszeit brauche. Man soll doch die Noten aussetzen.

4. Corona ließ das Kind aussteigen.

5. Da bekannt ist, dass es keine Leihgeräte mehr gibt, behauptet man jetzt, dass man leider keine stabile Internetverbindung habe und es ja auch keine Leihgeräte gebe. Das habe das sensible Kind nicht verkraftet und sei so langsam abgehängt worden.
Bis zum Schuljahresende kommen sicher noch ein paar originelle Begründungen dazu. Wir sollen alles wohlwollend betrachten. Kein Problem: 5. Klasse Notenaussetzung, Versetzung 6. Klasse, Notenaussetzung wegen Corona. So gewünscht und möglich.

Schon jetzt kommen pro 5. Klasse 3-5 Schüler mit Notenaussetzung hinzu. Unseligerweise erhalten sie von den Grundschullehrern immer die Empfehlung "Ganztagesklasse". Angeblich soll dann auch der Wechsel zur Realschule ganz einfach klappen. Ganz wunderbar, vor allem, weil jetzt pro Ganztagesklasse noch 3 Stunden Unterricht gestrichen wurden. Langsam steigt in mir der Verdacht auf, dass es auch gar nicht mehr um anspruchsvolle Unterrichtsversorgung geht, zumindest nicht in der Politik. Es wird also verwahrt.
Das Förderzentrum in der Nachbargemeinde hat die Unterstüzung von einzelnen ihrer ehemaligen Schüler abgeschafft. Das war wenigstens noch eine gewisse Chance. Aber ich verstehe die Förderschule auch. Sie hat getestet und getestet. Sie hat Gutachten über Gutachten geschrieben. Seitenweise. Überstunden geschoben. Wer versteht schon die Fachsprache? Ein Schüler der 4. Klasse, dem im Zahlenraum bis 20 der Zehnerübergang beim Addieren gelingt, wird von vielen dieser Eltern als zukünftiger Gymnasiast oder doch zumindest als Realschüler gesehen. Ein Jahr in der Mittelschule und dann weiter. Die Eltern sagen dann MITTELSCHULE - so absurd das klingt - als Sprungbrett. Der Elternwille gilt und schon haben wir das Kind. Du kannst mir glauben, die Eltern da herunter zu holen, ist schwer. Ehrlichkeit wird als Affront empfunden und kommt selten zur Anwendung. 

T.s Problemschüler werden auch bis zur 9. Klasse nicht viel mehr Mathegrundkenntnisse haben und mich wundert schon wie sie eine Gleichung lösen sollen oder Volumen berechnen... Ich habe bei Dir auch den Kommentar eines Gymnasiallehrers (?) über Teams gelesen. Der kann natürlich gar nicht nachvollziehen, warum Mittelschullehrer sich in ihrer Verzweiflung auf Teams gestürzt haben. Wenn der Wechsel im September eintritt, werden wir halt wieder die Gemeindeverwaltung mit Postgebühren überschwemmen. Es geht auch ohne Technik. Irgendwie.

Gruß

Deine Schulleiterfreundin

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