Mittwoch, 7. September 2022

Tag 898 mit Corona (Tag 194 des Krieges) und die Schulleiterfreundin schreibt (Gastbeitrag 19) über die Situation an Mittelschulen

Die Bertelsmann-Stiftung veröffentlichte eine Studie zu den Chancen von Jugendlichen mit niedriger Schulbildung: Rundum schlechte Aussichten.

Tatsächlich verstärkt sich diese Perspektivlosigkeit massiv. Die Schulleiterfreundin nimmt Stellung:

Vom Slogan " Keiner darf zurück bleiben" hört man natürlich nichts mehr (Anm.: H.s Schule bekam in den 00er und 10er Jahren vielfach Preise, weil sie das praktizierte)
Ein massiver Lehrermangel nimmt der schulischen Bildung jede Flexibilität. Momentan kämpft man an Mittelschulen vor allem darum, überhaupt das Pflichtangebot abzudecken. 
Dabei sind schon bis einschließlich 8. Jahrgangsstufe je eine Stunde Kunst und Musik zum Opfer gefallen. Macht nichts? Macht sehr wohl etwas, es geht um das kulturelle Angebot, um kulturelle Bildung, um die Austrocknung der Mittelschule.
Nach dem Inklusionsgeschrei der letzten 10 Jahre ist Stille eingekehrt. Während die Schulen vor ein paar Jahren noch versuchten, diesem Anspruch durch Klassenstärken bis maximal 25 Schülern gerecht zu werden, verstärkt durch zusätzliche intensive Förderung und Betreuung, kann das in diesem Zustand nicht mehr gewährleistet werden. Man hatte verdrängt, dass Klassenstärken bis zu 32 Schülern vollkommen legal sind und in grauen Vorzeiten selbstverständlich waren.
Bild: Lizenzfrei Pexels
Inklusion erfolgt jetzt als Individualisierung innerhalb des Unterrichts, ohne Unterstützung von außen. Daher muss man über dieses "gelöste" Problem nicht mehr sprechen. 
Ukrainische Klassen werden sowieso eher durch Zusatzkräfte unterrichtet, die schlecht bezahlt, jeweils Ende Juli entlassen und dann im September wieder eingestellt werden.  Auch die fehlenden Stunden sollen über befristet angestellte Lehrkräfte aufgefangen werden. Das sind berufsfremde Personen, die einen ordentlichen bürokratischen Aufwand als Einstiegshürde (wie es sich gehört), zu bewältigen haben, bevor sie zum Schulbeginn ihren Fuß in eine Mittelschule setzen dürfen. Ihre beeindruckenden Erfahrungen machen sie gänzlich auf sich gestellt. Im Idealfall werden sie durch Parallellehrkräfte an der Hand genommen. Im folgenden September, falls sie dann noch Lust auf den Job haben, erfolgt das gleiche Einstiegsprozedere. 
Inzwischen fragen sich dann junge Kolleg:innen, ob sich für sie die sechsjährige Ausbildung überhaupt lohnt, da an allen anderen Schularten (außer der Grundschule) deutlich bessere Konditionen, berufliche Anerkennung und Aufstiegschancen bestehen. So sinkt das Interesse für die Mittelschule weiter. In der öffentlichen Meinung ist man ja das Rütli- Image, befeuert durch einige Politiker (Lehrkräfte als "faule Säcke") nie los geworden.
Bild: Lizenzfrei Pexels
Corona hat natürlich verheerende Auswirkungen auf eine Schülerschaft gehabt, die weder über die technische Ausrüstung für einen Distanzunterricht noch über die Unterstützung der Eltern verfügte. Da halfen auch 30 Leihgeräte herzlich wenig.

Obwohl sich die Lehrkräfte abrackerten, gelang es kaum noch besonders die Inklusionsschüler mit sozial-emotionalen Problemen oder die Schüler mit Lernbehinderungen mit einzubeziehen und zu integrieren.
Die entstandenen Defizite sind so kaum noch aufholbar. Funktionale Analphabeten werden ins Leben entlassen.
Bild: Lizenzfrei Adobe Stock
Es verlassen zunehmend Schüler ohne qualifizierenden Mittelschulabschluss die Schule, manche sogar ohne einen erfolgreichen Mittelschulabschluss.
Die goldenen Jahre scheinen vorbei. Ausbildungsplätze werden immer anspruchsvoller. Ungelernte haben kaum eine Chance. Auch Arbeitgeber müssen umdenken anstatt nur auf den Schulen herumzuhacken. Vor allem kommt es so zu keinem Lösungsansatz. 
Wichtiger wäre es Schule und Beruf besser zu verknüpfen und die Bedeutung von handwerklichen Berufen zu stärken. Vorstellbar wären fest im Stundenplan verankerte betriebliche Projekte. Auch eine Auswahl an Schwerpunkten für verschiedene Bereiche, z.B. technisch, kaufmännisch... Ausbilder auch in die Schule? Warum nicht?

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