Der geschätzte Bob Blume ruft zu einer Blogparade (wie schön!). Hier die Antworten der Schulleiterfreundin, an die die Fragen weiter gereicht wurden.
- Wie steht ihr zum Unterrichtsstoff?
Unterrichtsstoff müsste in der Mittelschule in den Lehrplänen
umfangmäßig unbedingt reduziert werden. Lehrkräfte sollte flexibel
abgestimmt auf die Klasse damit individueller umgehen können.
Schließlich wird der Anteil von Inklusionsschüler:innen (Lernprobleme)
in der Mittelschule immer größer. Selbstverständlich hat das auch
Auswirkungen auf das Lernverhalten der Regelschüler in der Klasse.
Das bedeutet: weniger Pflicht, mehr fakultativ! Lehrer wissen
sehr wohl, was sie speziell von ihren Schülern verlangen können.
Besonders in den 5. und 6. Klassen treten eklatante Lücken zutage. Die Grundschulen versuchen möglichst viele Schüler in die Realschulen und Gymnasien zu schaufeln. Kinder, die langsamer oder weniger begabt sind, fallen hinten runter. Neben dem Frust in der Mittelschule gelandet zu sein, zeigt sich, dass manche Kinder den Erstleseprozess noch nicht abgeschlossen haben. Auch mathematische Fertigkeiten wie das kleine Einmaleins, schriftliches Subtrahieren, schriftliches Multiplizieren und vor allem Dividieren fallen äußerst schwer. Die ersten beiden Jahre in der Mittelschule sind ausgefüllt mit dem Aufbau von Selbstbewusstsein und beheben der Lücken. Vor allem das sinnentnehmende Lesen fällt vielen SchülerInnen bis in die Abschlussklassen schwer. Frustrierend: Wir bilden funktionale Analphabeten aus. Immerhin gibt es statistisch gesehen nahezu 7 Millionen funktionale Analphabeten (mit Schulbesuch und Abschluss) in Deutschland. Daher ist es enorm wichtig diese Lücken aufzufüllen.
Der Stoff wurde seit Anbeginn von H.s und der Schulleiterfreundins Lehrerdasein immer mehr reduziert
und zusammengestrichen, natürlich um Stunden bzw. Lehrerstellen
einzusparen. So wurden die Fächer Geschichte, Sozialkunde und Erdkunde
zu einem Fach GSE verschmolzen, was keine tiefere Wissensvermittlung
mehr ermöglichte. Ebenso passierte es mit den Fächern Physik/Chemie und
Biologie. Daraus wurde PCB. Mittlerweile sind die Fächer schon wieder
umbenannt, möglicherweise sind die Stunden nochmals reduziert. Vor
vielen Jahren gab es das Fach "Erziehungskunde", welches ersatzlos
wegfiel. So lassen sich mit einem Strich Tausende Lehrerstellen
einsparen.
- Wie ist das Verhältnis zwischen Unterrichtstoff und Zeit?
- Wie ist das Verhältnis zwischen Unterrichtsstoff und Kompetenzen?
Es gab in den letzten Jahren schon viele spezielle, nette
Fachbegriffe: Ressourcensonne, Modularisierung und nun Kompetenz.
Irgendwann verschwinden sie sang- und klanglos.
"Der LehrplanPLUS versteht eine Kompetenz als fachspezifische und
überfachliche Fähigkeit, die Wissen und Fertigkeiten miteinander
verbindet und die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt,
zu verstehen, zu reflektieren, schlüssig zu argumentieren,
fundiert zu urteilen und neue Anforderungen zu bewältigen." Wow.
Beim Lesen dieser Anforderungen bekommt so manche Lehrkraft weiche
Knie. Es gibt wohl viele Erwachsene, die diese Kompetenzen auch
nicht beherrschen. Sind wir somit auf dem Weg in eine neue
Zukunft? Der Begriff Kompetenz ist bewusst allgemein gehalten,
auch in dieser Definition aus dem Lehrplan. Der Lehrer füllt ihn
mit Inhalt.
- Welcher „Stoff“ müsste weg? Aus welchen Gründen?
Solche Überlegungen sind gefährlich: Gestrichen wird schon seit
Jahren aus Einspargründen (s.o.). Ganze Fächer verschwinden. Aufgrund des
selbstverschuldeten Lehrermangels werden Musik und Kunst
gestrichen. Dabei sind diese Fächer so wichtig. Sie helfen das
Selbstbewusstsein eines Kindes aufzubauen, das in der ständigen
Überforderung und der ständigen Konfrontation mit Mängeln erleben
könnte auch etwas zu schaffen und zu können.
Kunst fördert die Kreativität. Natürlich nicht nur Kunst.
Kreativität u.a. ist die Fähigkeit aus Erlerntem Neues zu
schaffen. Eigentlich würde das wunderbar in den Kompetenzkatalog
passen. Der Kreativitätsbegriff ist auch entschwunden. Sind
kreative Menschen vielleicht unbequem?
- Welcher „Stoff“ müsste dazukommen? Aus welchen Gründen?
Gerade nach Corona wurden viele soziale Defizite auffällig. Aggressionsfreie Sprache, faires Verhalten, um in einer Gemeinschaft zusammenzuleben, fällt vielen Kindern und Jugendlichen immer schwerer. Auch der Umgang mit Social Media. Da sind viele Erwachsene auch ziemlich schwach. In der heutigen Zeit muss man jedoch damit umgehen können.
- Wo passt der „Stoff“ überhaupt nicht zu Stufe?
Die Behandlung des Nationalsozialismus ist schon vor Jahren in
die 8. Jahrgangsstufe gerutscht. Dort fristet er nicht nur ein
geschrumpftes und kärgliches Dasein, er stellt auch oft eine
psychische Überforderung von 14jährigen SchülerInnen dar. Aufgrund
der Möglichkeit einer verfrühten Einschulung sind auch schon
13Jährige in der 8. Jahrgangsstufe.
- Und welche Frage möchte ich zum Thema noch beantworten, die hier nicht gestellt worden ist.
Die Lehrerausbildung hat sich in den letzten 40 Jahren kaum
verändert. Das ist gruselig. Junge Leute werden wenig auf den
Schulalltag vorbereitet. Schüler mit Migrationshintergrund und
mangelnden Deutschkenntnissen, Inklusion auf den verschiedensten
Gebieten, schwierige Eltern, verschiedenste
Verhaltensauffälligkeiten und Probleme. Nach der 1. Staatsprüfung
werden die Leute ins kalte Wasser geschmissen.
Angst, dass die Leute scheitern und die Flucht ergreifen, wenn
sie die Realität vorher wüssten, ist unbegründet. Als LehrerInnen
wollen überwiegend Menschen mit sozialen Kompetenzen und viel
Idealismus den Beruf eines Mittelschullehrers ergreifen. Wenn man
sie vorbereiten würde, wären sie mit viel Engagement und Freude
bei der Sache.
Hatte sehr gehofft, daß Hauptschulblues selber oder die Schulleiter-Freundin dazu schreibt. Vielen Dank dafür. An das Fach Erziehungskunde kann ich mich noch gut erinnern. Es war einstündig. Ob man damit soviele Stellen einspart?
AntwortenLöschenJa. Durchschnittlich eine Lehrerstelle pro 8 Hauptschulen.
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