Montag, 28. November 2022

Tag 980 mit Corona (Tag 276 des Krieges) und Blogparade: Stoff in der Haupt-, nein Mittelschule

Der geschätzte Bob Blume ruft zu einer Blogparade (wie schön!). Hier die Antworten der Schulleiterfreundin, an die die Fragen weiter gereicht wurden.

Bildquelle: piqs.de

  • Wie steht ihr zum Unterrichtsstoff?

Unterrichtsstoff müsste in der Mittelschule in den Lehrplänen umfangmäßig unbedingt reduziert werden. Lehrkräfte sollte flexibel abgestimmt auf die Klasse damit individueller umgehen können. Schließlich wird der Anteil von Inklusionsschüler:innen (Lernprobleme) in der Mittelschule immer größer. Selbstverständlich hat das auch Auswirkungen auf das Lernverhalten der Regelschüler in der Klasse.

Das bedeutet: weniger Pflicht, mehr fakultativ! Lehrer wissen sehr wohl, was sie speziell von ihren Schülern verlangen können.

Besonders in den 5. und 6. Klassen treten eklatante Lücken zutage. Die Grundschulen versuchen möglichst viele Schüler in die Realschulen und Gymnasien zu schaufeln. Kinder, die langsamer oder weniger begabt sind, fallen hinten runter. Neben dem Frust in der Mittelschule gelandet zu sein, zeigt sich, dass manche Kinder den Erstleseprozess noch nicht abgeschlossen haben. Auch mathematische Fertigkeiten wie das kleine Einmaleins, schriftliches Subtrahieren, schriftliches Multiplizieren und vor allem Dividieren fallen äußerst schwer. Die ersten beiden Jahre in der Mittelschule sind ausgefüllt mit dem Aufbau von Selbstbewusstsein und beheben der Lücken. Vor allem das sinnentnehmende Lesen fällt vielen SchülerInnen bis in die Abschlussklassen schwer. Frustrierend: Wir bilden funktionale Analphabeten aus. Immerhin gibt es statistisch gesehen nahezu 7 Millionen funktionale Analphabeten (mit Schulbesuch und Abschluss) in Deutschland. Daher ist es enorm wichtig diese Lücken aufzufüllen.

Der Stoff wurde seit Anbeginn von H.s und der Schulleiterfreundins Lehrerdasein immer mehr reduziert und zusammengestrichen, natürlich um Stunden bzw. Lehrerstellen einzusparen. So wurden die Fächer Geschichte, Sozialkunde und Erdkunde zu einem Fach GSE verschmolzen, was keine tiefere Wissensvermittlung mehr ermöglichte. Ebenso passierte es mit den Fächern Physik/Chemie und Biologie. Daraus wurde PCB. Mittlerweile sind die Fächer schon wieder umbenannt, möglicherweise sind die Stunden nochmals reduziert. Vor vielen Jahren gab es das Fach "Erziehungskunde", welches ersatzlos wegfiel. So lassen sich mit einem Strich Tausende Lehrerstellen einsparen.

  • Wie ist das Verhältnis zwischen Unterrichtstoff und Zeit?
Das ist eine einfache Rechnung: je mehr Stoff umso weniger Zeit für Einzelheiten. Das führt oft dazu, dass nach der Einführung von neuem Stoff zu wenig Zeit zum Festigen und Üben zur Verfügung steht. In Mathematik wird beispielsweise eingeführt: 4x5 bedeutet 5+5+5+5. So rechnen auch noch viele Fünftklässler. Das Einmaleins ist nicht automatisiert. Dafür fehlt die Zeit.
  • Wie ist das Verhältnis zwischen Unterrichtsstoff und Kompetenzen?

Es gab in den letzten Jahren schon viele spezielle, nette Fachbegriffe: Ressourcensonne, Modularisierung und nun Kompetenz. Irgendwann verschwinden sie sang- und klanglos.

"Der LehrplanPLUS versteht eine Kompetenz als fachspezifische und überfachliche Fähigkeit, die Wissen und Fertigkeiten miteinander verbindet und die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt, zu verstehen, zu reflektieren, schlüssig zu argumentieren, fundiert zu urteilen und neue Anforderungen zu bewältigen." Wow. Beim Lesen dieser Anforderungen bekommt so manche Lehrkraft weiche Knie. Es gibt wohl viele Erwachsene, die diese Kompetenzen auch nicht beherrschen. Sind wir somit auf dem Weg in eine neue Zukunft? Der Begriff Kompetenz ist bewusst allgemein gehalten, auch in dieser Definition aus dem Lehrplan. Der Lehrer füllt ihn mit Inhalt.

  • Welcher „Stoff“ müsste weg? Aus welchen Gründen?

Solche Überlegungen sind gefährlich: Gestrichen wird schon seit Jahren aus Einspargründen (s.o.). Ganze Fächer verschwinden. Aufgrund des selbstverschuldeten Lehrermangels werden Musik und Kunst gestrichen. Dabei sind diese Fächer so wichtig. Sie helfen das Selbstbewusstsein eines Kindes aufzubauen, das in der ständigen Überforderung und der ständigen Konfrontation mit Mängeln erleben könnte auch etwas zu schaffen und zu können.

Kunst fördert die Kreativität. Natürlich nicht nur Kunst. Kreativität u.a. ist die Fähigkeit aus Erlerntem Neues zu schaffen. Eigentlich würde das wunderbar in den Kompetenzkatalog passen. Der Kreativitätsbegriff ist auch entschwunden. Sind kreative Menschen vielleicht unbequem?

  • Welcher „Stoff“ müsste dazukommen? Aus welchen Gründen?

Gerade nach Corona wurden viele soziale Defizite auffällig. Aggressionsfreie Sprache, faires Verhalten, um in einer Gemeinschaft zusammenzuleben, fällt vielen Kindern und Jugendlichen immer schwerer. Auch der Umgang mit Social Media. Da sind viele Erwachsene auch ziemlich schwach. In der heutigen Zeit muss man jedoch damit umgehen können.

  • Wo passt der „Stoff“ überhaupt nicht zu Stufe?

Die Behandlung des Nationalsozialismus ist schon vor Jahren in die 8. Jahrgangsstufe gerutscht. Dort fristet er nicht nur ein geschrumpftes und kärgliches Dasein, er stellt auch oft eine psychische Überforderung von 14jährigen SchülerInnen dar. Aufgrund der Möglichkeit einer verfrühten Einschulung sind auch schon 13Jährige in der 8. Jahrgangsstufe.

  • Und welche Frage möchte ich zum Thema noch beantworten, die hier nicht gestellt worden ist.

Die Lehrerausbildung hat sich in den letzten 40 Jahren kaum verändert. Das ist gruselig. Junge Leute werden wenig auf den Schulalltag vorbereitet. Schüler mit Migrationshintergrund und mangelnden Deutschkenntnissen, Inklusion auf den verschiedensten Gebieten, schwierige Eltern, verschiedenste Verhaltensauffälligkeiten und Probleme. Nach der 1. Staatsprüfung werden die Leute ins kalte Wasser geschmissen.

Angst, dass die Leute scheitern und die Flucht ergreifen, wenn sie die Realität vorher wüssten, ist unbegründet. Als LehrerInnen wollen überwiegend Menschen mit sozialen Kompetenzen und viel Idealismus  den Beruf eines Mittelschullehrers ergreifen. Wenn man sie vorbereiten würde, wären sie mit viel Engagement und Freude bei der Sache.

2 Kommentare:

  1. Hatte sehr gehofft, daß Hauptschulblues selber oder die Schulleiter-Freundin dazu schreibt. Vielen Dank dafür. An das Fach Erziehungskunde kann ich mich noch gut erinnern. Es war einstündig. Ob man damit soviele Stellen einspart?

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    1. Ja. Durchschnittlich eine Lehrerstelle pro 8 Hauptschulen.

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