Dienstag, 1. August 2023

Drei Jahre und 126 Tage mit Corona, 1 Jahr und 155 Tage Krieg und: Leseförderung

Die Länder jammern wieder über die niedrige Lesekompetenz ihrer Schüler:innen. Was jetzt Abhilfe bringen soll, ist alter Wein in neuen Schläuchen. Man hätte sich seit über 20 Jahren umgucken können, fragen, sich professionelle Hilfe holen. Aber lieber holt man das Kind aus dem Brunnen.


Zur Steigerung der Lesekompetenz sollen Grundschüler in Brandenburg vom kommenden Schuljahr an gemeinsam lesen. Etwa 15 bis 20 Minuten sollen vor allem die Kinder der Klassen zwei bis sechs nach dem Vorbild des Hamburger Lesebands an den meisten Unterrichtstagen laut lesen, etwa im Chor oder im Tandem.

Panik bricht aus bei den Ländern wegen des miserablen Abschneidens bei internationalen Vergleichen.

Bislang hätten schon 130 Schulen ihr Interesse bekundet, berichtete das Bildungsministerium am Donnerstag. In Brandenburg gibt es rund 460 Grundschulen. Darüber hinaus kann das Leseband auch in den Jahrgangsstufen 7 und 8 in der Sekundarstufe 1 eingeführt werden.

H. geht jetzt einmal 20 Jahre zurück, an seine Schule. Auch dort war Leseförderung in allen Jahrgangsstufen nötig, vor allem weil aus den Grundschulen Kinder kamen, die des Lesens nicht mächtig waren (von den Grundrechenarten ganz zu schweigen). Die umliegenden Grundschulen hatten die Tendenz, sich der "schlechten" und damit auch "unwilligen" Schüler:innen möglichst bald zu entledigen, anstatt sie entsprechend zu fördern.

Die allererste Maßnahme war ein Test der Lesefähigkeit in den 5. Klassen, mit katastrophalem Ergebnis. Durchgeführt wurde der Test vom Lehrstuhl für Pädagogik der LMU (Danke, Richard, falls Du mitliest!). Es schlossen sich Fortbildungen zum Thema im damaligen "Netzwerk innovativer Schulen" an, wobei H.s Schule die einzige teilnehmende Mittelschule im Netzwerk war, sonst nur Grund- und Förderschulen aus der Region.

Hieraus ergaben sich eine Menge von Fördermöglichkeiten, wobei H. nicht weiß, ob er alle erinnern kann. Eine Stiftung wurde aufmerksam und gab viel Geld, um Materialien zu kaufen.

In den Klassen gab es:

  • Das Buch unter der Bank: War jemand fertig, durfte er lesen.
  • Jede Sachunterrichtsstunde war zugleich eine Lesestunde (Wörter klären usw.).
  • Es musste täglich mindestens 15 Minuten gelesen werden.
  • Klassenlektüren mit leichter Sprache wurden angeschafft und auch verwendet.
  • Es gab die AG "Die Vorleser", die in Kitas, Schulen, Altenheimen, auf Weihnachtsfeiern usw. engagiert wurden und vorlasen (nebenbei verdienten sie sich ein stattliches Taschengeld). Dazu gab es jährlich ein Lesecasting.
  • Hörtexte wurden auf CD gebrannt, der Text dazu ausgedruckt. Dann hörten die Schüler:innen und lasen mit. Das Gutenbergprojekt stellte eine Unzahl passender Texte bereit (Max & Moritz, Struwwelpeter, Der kleine Prinz etc.).
  • Über 30 Lesepatinnen (nur Frauen) kamen in die Schule parallel zum Unterricht und lasen mit den Kindern: Schwierige Schüler:innen im Verhältnis 1:1.
  • Die Stiftung Lesen finanzierte den Ausbau der Schulbibliothek mit Büchern und audiovisuellen Medien, einschließlich Mobiliar und Kuschelcouch. Eine ehrenamtlich ehemalige Kollegin ermöglichte regelmäßige Öffungszeiten

Der Erfolg bei den Kontrolltests war überwältigend und mit ein Grund für die höchsten Auszeichnungen der Schule.

Fazit: Es braucht keine Ansagen von oben! Jede Schule hat die Möglichkeit, entsprechend ihrer Möglichkeiten, das Problem Lesen anzugehen.

1 Kommentar:

  1. Die Lesekompetenz hat noch viel mehr nachgelassen. Mittlerweile sind alle Schularten des dreigliedrigen Schulsystems betroffen. Gymnasiasten und Realschüler werden noch ein paar Jahre mitgeschleift, bevor sie sich eine andere Schulart suchen müssen.
    Weder Elter noch die Schüler selbst können sich aus der Situation befreien.
    Die Lesepaten kamen den Schulen durch die Coronakrise abhanden. Quereinsteiger sind derartig überfordert, dass sie sich nicht noch mit zusätzlichen Personen in der Klasse beschäftigen wollen. Natürlich muss mit Ehrenamtlichen kommuniziert werden, möglicher Lesestoff ausgesucht werden und man muss sich über den Lernstand der Schüler austauschen. In dieser Zeit trennte sich dann der Rest der Lesepaten von der Schule. Auch von den sonstigen hier aufgeführten Maßnahmen wollte man kaum etwas übernehmen. Lesen ist doch in nahezu allen Fächern möglich. Berufsanfänger lassen kaum lesen. Alles wird mündlich besprochen, Arbeitsaufträge grundsätzlich von Einzelnen laut vorgelesen. So merkt man kaum, wo das Problem liegt.

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