Lieber Hauptschulblues,
dieses Jahr war alles anders. Die Prüfungen nach hinten verlagert, Nachprüfungen fast bis zum letzten Schultag. Was sich nicht geändert hat: der Schülertourismus. Das muss ich erklären.
Er beginnt ungefähr in der vorletzten Schulwoche. Die SchülerInnen haben ihr Abschneiden im qualifizierenden Mittelschulabschluss auf einem Computerausdruck erhalten. Auch das Durchfallen wird gnadenlos dokumentiert. Man benötigt einen Durchschnitt von 3,00 in allen Qualifächern um zu bestehen. 3,2 ist knapp daneben, aber eben daneben. Durchgefallen! Entweder man fragt an der Schule nach, ob man wiederholen darf oder versucht so ins Berufsleben zu starten. In der Regel wird ein Wiederholen auch gewährt, war ja ein schwieriges Jahr mit Corona... Bei einem Schnitt von 4,3 liegt wohl mehr im Argen! Auch wenn die Schule empfiehlt, sich eine andere Schule zu suchen.
Deutsch 6.
Schließlich konnte ich mich aufraffen und ich fragte den Knaben, warum er denn Deutsch gewählt habe und nicht Deutsch als Zweitsprache. Nun, der Junge war in Deutschland geboren, entnahm ich seinen Ausführungen. Er ging 9 Jahre in München in die Schule. Die Mutter nickte. Ich wusste nicht, ob sie unsere Unterhaltung verstehen konnte.
Ich konnte es mir nun nicht verkneifen darauf hinzuweisen, dass der Schüler wirklich außerordentlich schlecht die deutsche Sprache beherrsche. Man könne ihn kaum verstehen, kein einziger Satz sei vollständig, der Wortschatz dürftig. Ich könne mir gar nicht vorstellen, wie er diese Lücken schließen wolle und ob ihm das selbst noch nicht aufgefallen sei. Der Junge nickte und meinte, das komme wahrscheinlich daher, dass er Österreicher sei. Trotz dieser einleuchtenden Erklärung wollte ich den Knaben nicht aufnehmen, was die Mutter stumm, aber mit giftigen Blicken quittierte.
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Am nächsten Tag der nächste Kandidat. Diesmal aus der unmittelbaren Nachbarschule. Der Notenausdruck ähnlich katastrophal. Auch diesmal saß die Mutter dabei. Der Junge konnte sich viel besser verständigen. Er schimpfte auf Corona, die mangelnde Versorgung durch die Lehrkraft während der schwierigen Zeit. Dann beugte er sich vor und meinte mit dramatischem Augenaufschlag: "Nur ein Schüler hat an der gaaanzen Schule den Quali geschafft!" Mutter und Sohn nickten schweigend. Ich war geschockt. Was, nur ein einziger Schüler? Naja, der Lehrer hat sich überhaupt um nichts gekümmert. Nur sporadisch, halt so alle drei vier Wochen hätte es Aufgaben gegeben, in Mathe jedoch gar nie. Der Name des Lehrers war mir bekannt, war er doch auch schon an unserer Schule gewesen. Der Mann muss eine schreckliche Wesensveränderung innerhalb von zwei Jahren durchgemacht haben, anders ist das Verhalten nicht erklärbar. Nun kam es tatsächlich noch zu einer positiven Wendung. Der Lehrer habe nach den Qualiprüfungen festgestellt, dass der Schüler Legastheniker sei. Dadurch hätte sich die Situation grundlegend verändert. Ich solle doch mal den Zettel umdrehen und mir die Rückseite anschauen. Also drehte ich den Zettel auf die Rückseite. Dort standen in einer kindlichen Schrift in Tinte zwar die gleichen Fächer vermerkt, aber alle mindestens um eine Note besser. Ich war ratlos. Der Lehrer habe seinen Fehler eingesehen und alle Noten verbessert. Das hätte er auch tun müssen bei einem so klaren Legastheniker. Selbstverständlich.
Nun sah das Ganze doch sehr viel beruhigender und besser aus, der Schnitt mit 3,1. So knapp vorbei. Leider konnte ich auch hier keinen Zuschlag geben. Ich empfahl diesem Schüler mit seiner Lehrkraft Rücksprache zu nehmen...
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In den letzten Jahren wurden die Bedingungen für Abschlüsse sehr verbessert. Schüler, die den zwar den erfolgreichen Mittelschulabschluss erreicht haben, aber den qualifizierenden Mittelschulabschluss nicht geschafft haben, können diesen neben einer Wiederholung noch durch einen guten Berufsabschluss überreicht bekommen. Es gibt viele Anschlüsse. Unsere Abgangsschüler sind eben in der Regel noch recht jung, gerade mal 15 Jahre. Selten wissen sie ohne Anleitung, wo es lang geht. Natürlich wurmt es, wenn KlassenkameradInnen alles geschafft haben und man selber nicht. In der Woche habe ich noch ähnliche Rettungsversuche erlebt.
Allerdings bei weitem nicht so kreativ.
Bis demnächst,
Deine Schulleiterfreundin
Man fragt sich wirklich, ist das Comedy oder Real Life.
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